Flugzeugkabine wird zur Folterkammer: “Es war brutal” – Schwere Vorwürfe gegen Eurowings: Passagiere in der Kabine “gekocht”
Schwere Vorwürfe gegen Eurowings: Passagiere in der Kabine “gekocht”
Ein Tag, der in die Geschichte einging: Ein IT-Blackout legte am Freitag, 19. Juli, die halbe Welt lahm und sorgte auch im Flugverkehr für Ausfälle und Verspätungen. Die Nachwehen waren tagelang zu spüren.
Tausende Reisende waren auf Flughäfen gestrandet. Auch Ibiza-Reisende erhielten von der deutschen Airline Eurowings eine Email, dass es Probleme mit dem Check-In gäbe: “Leider sind auch wir betroffen, weshalb derzeit Check-in und Boarding-Prozesse beeinträchtigt sind. Alle von der IT-Störung betroffenen Prozesse liegen außerhalb unserer Kontrolle. Ein Online-Check-in ist momentan nicht möglich. Nutzen Sie dafür bitte die Schalter an den Flughäfen und planen Sie entsprechend Zeit ein.”
Am Samstag platzte der Flughafen von Ibiza aus allen Nähten, viele Eurowings-Passagiere hingen stundenlang fest. Pech hatten auch die Reisenden des Flug EW2595, der statt wie geplant um 21.55 Uhr in Stuttgart um 00.30 Uhr in Köln landete, und die Passagiere dort einfach ihrem Schicksal überließ. Die Musikgruppe P-Brothers und der DJ Manuel Grandi, die von Ibiza auf eine Veranstaltung in Karlsruhe gebucht waren, hatten keine andere Option, als 680 Euro für ein Taxi zu bezahlen, um rechtzeitig zu ihrem Auftritt zu gelangen. “Man hat uns aus dem Flieger geworfen mit der Ansage, wir müssen jetzt selber schauen, wie wir nach Stuttgart kommen. Es gab keinen Bus für uns, kein Hotel, einen anderen Flug oder irgendwelche Infos. Es war mitten in der Nacht, es gab also auch keine Züge, und die Mietwagenschalter am Flughafen hatten geschlossen”, berichtet Tourmanagerin Ximena Topolansky.
War der Hinflug schon ein totales Desaster, erlebten die Musiker jedoch bei ihrer Rückreise am Sonntag, 21. Juli, eine “Folter”, von der sich viele bis heute noch nicht erholt haben: “Es war brutal”, berichtet Carmen K., Assistentin des Artist Managers Sascha Gerecht, der auf dem Weg zu einem Gig seines Künstlers, dem DJ Jaden Bojsen, im Ushuaia war.
Was auf dem Flug EW2594 geschah, lässt sich nicht mehr mit „IT-Problemen“ entschuldigen, denn es handelte sich um handfeste technische Probleme und ein eindeutiges Versagen der Crew, wie Protokolle ergeben. Weil die Klimaanlage nicht funktionierte, wurden die Passagiere drei Stunden in der vollbesetzten Kabine “gekocht”.
Dem IBIZA KURIER liegt eine Liste von über 50 Geschädigten vor, die auf dem Flug Stuttgart-Ibiza laut eigener Aussagen “gefoltert” wurden. Auch liegt der Redaktion umfassendes Video- und Fotomaterial vor, das zeigt, wie die Passagiere in der vollbesetzten und unklimatisierten Kabine ohne Wasser und ohne Board Service (die Crew wurde wohl zwischendrin ausgewechselt) kurz vor dem Kreislaufzusammenbruch bzw. Hitzschlag stehen.
Als die Babys und Kleinkinder zu schreien begannen, flüchten einige Eltern aus dem Flugzeug, was für Koffer-Chaos und weitere Verspätungen sorgte, und was die Passagiere im Inneren noch länger der lebensbedrohlichen Gefahr aussetzte. Man sieht in den Aufnahmen apathische Kleinkinder und klatschnasse und schweißgebadete Männer und Frauen, die sich übergeben, mit Atemnot und Panikattacken kämpfen.
Die Betroffenen haben sich in einer Whatsapp-Gruppe zusammengetan und planen, juristische Schritte gegen Eurowings einzuleiten. Denn es geht hier nicht um eine “normale” Verspätung. Ein Polizist, bezeichnet die “Hitze-Folter”, der die Passagiere in der Kabine stundenlang ausgesetzt waren, abgesehen von den organisatorischen und technischen Pannen, strafrechtlich als Körperverletzung. Andere sehen zudem den Straftatbestand der Nötigung und Freiheitsberaubung erfüllt.
Der Abflug von Stuttgart war für 8.30 Uhr geplant, doch erst um 10.30 Uhr begann das Boarding, das sehr stockend verlief. Gegen 11.20 Uhr war jeder auf seinem Platz und froh darüber, dass es jetzt endlich losgeht. Doch die eigentliche Tortur begann, nachdem alle im Flieger saßen. Der Kapitän entschuldigte sich zunächst, dass die Klimaanlage kaputt sei. Das Schwitzen begann.
Dann die nächste Horror-Durchsage: Die Bremsen müssten gekühlt werden, was dauern würde. Dann noch eine Hiobsbotschaft, man habe aufgrund der Verspätung den Slot verpasst und müsse weitere 50 Minuten in der Parking Position bleiben.
In der Kabine wurde es so heiß, dass die Babies zu schreien und Kleinkinder lautstark zu quengeln begannen. Der Flieger müsse noch betankt werden, hieß es dann. Was aber nicht ging, solang die Koffer der “flüchtenden” Eltern und andere Passagiere, die “nur noch raus” wollten, gesucht wurden und mühsam aus dem Laderaum heraussortiert werden mussten.
“Ich habe alles aufgezeichnet. Unser Kleiner stand sehr kurz vor einem Kreislaufkollaps. Wir waren gezwungen, ihm Cola einzuflößen. Er war schon apathisch. Eventuell werde ich das Material auf Youtube veröffentlichen”, sagt Yvonne W. “Meine Mutter bekam Probleme mit den Beinen und Herzprobleme”, fügt sie an.
Erst zwei Stunden später, gegen 13 Uhr, wurden Wasserflaschen zum Flieger gebracht und an die Verdurstenden verteilt, die jedoch nicht für alle reichten. “Beim Tankvorgang – also nach vorherigem 1,5 Stunden ‘kochen’ – haben wir eine Frau beobachtet, deren Kreislauf versagte und sich übergeben musste.”
Zwischen 12.10 und 13.50 Uhr brach Panik aus unter den Passagieren, wegen der Hitze im Flugzeug, aber auch, weil es keine Informationen vom Piloten oder den Flugbegleitern gab. Vor allem “während und nach der Panik machte sich der Pilot komplett rar” und war “weder zu sehen noch gab es Durchsagen” über das Vorgehen oder Erklärungen: “Insgesamt einfach nur unverantwortlich!”.
Fast drei Stunden dauerte die “Hitze-Folter” im Inneren der engen Eurowings-Maschine auf dem Stuttgarter Flughafen, bis sie um 14.30 Uhr endlich in Richtung Insel abhob, wo sie nach planmäßiger Flugdauer um 16.18 Uhr landete.
“Sorry for the bad experience”, sagte der Stewart jedem Passagier zum Abschied bei der “Freilassung”. Doch auf Ibiza erwartete die Urlauber der nächste Schock: Etliche Koffer waren in Stuttgart geblieben, darunter die der Familie von Yvonne W., Sascha Gerecht und Björn Steiner. Ein Anwalt, dessen Koffer ebenfalls fehlte, wird mit seiner Kanzlei eine individuelle Abarbeitung der Vorfälle und Schadenersatzansprüche einfordern. Von Eurowings selbst ist wenig Entgegenkommen zu erwarten: Der Link, über den Passagiere auf der Webseite prüfen können, ob sie Anspruch auf Schadensersatz haben, ist tot (Stand: 29. Juli).
Auf Anfrage durch den IBIZA KURIER gab Eurowings erst nach mehreren Tagen einen Stellungnahme ab. In der Antwort von Pressesprecherin Anke Carola Walter ist lapidar von einer “Verkettung unglücklicher Umstände” die Rede, und “da der Flug mit einem entsprechenden Slot – einem definierten Zeitfenster für den Start – versehen war”, habe sich der Kapitän entschieden, “die Passagiere an Bord zu behalten”, um jederzeit rechtzeitig starten zu können.
Die Passagiere an Bord zu behalten wäre mit Air Conditioning ja auch überhaupt kein Problem gewesen. Doch das eigentliche Problem, die kaputte Klimaanlage und die Lebensgefahr, der die Passagiere dadurch ausgesetzt waren, umschifft sie bzw. geht nicht darauf ein. Die Geschädigten besprechen sich in der Whatsapp-Gruppe, wie sie juristisch gegen die Airline vorgehen werden.
Hitzekollaps: Lebensgefährliche Pannen auf Ibiza-Eurowings-Horrorflug
Ablauf der Vorkommnisse auf dem Eurowings-Flug EW2594 am Sonntag, 21. Juli, mit Zeitstempel, wie ihn Yvonne W. und ihre Familie erlebten:
10:41 Uhr: Einstieg in die Maschine, keine Klimaanlage
11:29 Uhr: Abfahrt Richtung Rollfeld
11:40 Uhr: Stehen und Warten, dann Stromausfall und Abkühlen der zu heißen Bremsen
11:54 Uhr: Durchsage Pilot, dass in 4-5 Minuten Abflug
12:08 Uhr: Stillstand auf dem Rollfeld
12:10 Uhr: Rückkehr zum Parkplatz
12:37 Uhr: Motoren fahren zum dritten Mal direkt nach dem Start wieder runter, jedes Mal wird die Hoffnung auf die Klimaanlage zerstört. Im Flugzeug ist es inzwischen viel zu warm, die Luft wird immer schlechter.
12:43 Uhr: Durchsage Pilot: Wer raus möchte, soll sein Gepäck nehmen und gehen, es komme ein Bus. Das Flugzeug nur kurz zum Atmen zu verlassen, war nicht erlaubt, obwohl es draußen sicher 10-15 Grad kühler war: “Eine weitere absolute Fehlentscheidung neben der, uns bei 30 Grad Außentemperatur nicht schon zu Anfang der technischen Schwierigkeiten zurück zum Gate zu bringen.” Einige Passagiere entscheiden sich, zu gehen. Ihr Gepäck muss aussortiert werden.
12:58 Uhr: Es wurden erste Wasserflaschen ausgeteilt, zaghaft, unkoordiniert und nur auf Aufforderung, statt einfach jedem etwas zu geben. Schließlich nahm sich eine Frau vom Bodenpersonal ein Herz und ging Wasser ausschenken durch die Reihen: “Es war gar nicht ihr Job, aber sie konnte es nicht mit ansehen, wie die Menschen in der brüllenden Hitze litten. Die Flugbegleiter selbst waren zaghaft, zuweilen fast panisch und wussten offenbar selbst nicht Bescheid. Sie wurden zwischendurch einzeln zum Piloten zitiert, aber verschwanden immer hinter dem Vorhang, statt angemessen die Passagiere zu betreuen.”
13:28 Uhr: Mundpropaganda: Ein Crewmitglied sei erkrankt und müsse ausgetauscht werden.
13:29 Uhr: Nach wie vor keine Klimaanlage, es ist unerträglich heiß, zum Sprechen fehlt Vielen die Kraft, einige sind im Koma. Ein Gast muss richtig wachgerüttelt werden, um ihm Wasser zu geben, und unser Sohn ist inzwischen völlig apathisch.
13:31 Uhr: Durchsage Pilot, in 15 Minuten soll das Nachtanken losgehen. Die Türen sollen geschlossen werden und die Klimaanlage an, sodass das Warten für uns „very comfortable“ werde. Dabei machte er sich nicht einmal selbst ein Bild von der Lage bei den Passagieren. Die Klimaanlage blieb trotzdem die ganze Zeit über aus.
13:43 Uhr: Mein Mann übergießt unseren nassgeschwitzten Sohn mit Wasser.
13:50 Uhr: Es wird getankt. Türen weiterhin fest geschlossen, keine Klima.
13.57 Uhr: Dasselbe, mit immer höher werdenden Temperaturen.
14:14 Uhr: Endlich geht es los zum Rollfeld und Abflug.
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Text: Friederike Diestel / Fotos: red
Copyright: Ibiza Kurier – Die deutsche Zeitung für Ibiza und Formentera
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