Stammen die Ibizenkos womöglich nicht von den Phöniziern ab?
DNS-Analysen erzwingen ein Überdenken der
Geschichtsschreibung Ibizas
Kürzlich erhobene Untersuchungen legen nahe, dass
die modernen Ibizenkos genetisch mit den Franzosen verwandt sind.
Die über Jahrhunderte übertragene, ursprüngliche
genetische Signatur der weiblichen Urbevölkerung Ibizas wurde im Laufe der Zeit
durch eine erst kürzlich entdeckte Linie ersetzt, die sich stark von dieser
unterscheidet.
Eine von Scientific Reports veröffentlichte
Studie belegt, dass die alte DNS Ibizas eine klare Unterbrechung zwischen der
weiblichen Abstammungslinie der ersten phönizischen Siedler und den heutigen
Bewohnern der Insel aufweist.
Die Untersuchung widerspricht dem, was seit
zwanzig Jahren an der Universitat de les Illes Balears (UIB) gelehrt wird,
nämlich dass der phönizisch-punische genetische Fingerabdruck bis heute in der
weiblichen Bevölkerung nachweisbar sei.
Der Report wurde von Professorin Lisa
Matisoo-Smith und ihrem Team der Universität von Otago, Neuseeland, und
Professor Pierre Zalloua der Lebanese American University, Beirut, erarbeitet.
In Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern des Instituto de Biología Evolutiva
(Universitat Pompeu Fabra- CSIC), Barcelona, des Archäologischen Museums von
Ibiza sowie Wissenschaftlern aus dem Libanon und Italien analysierte das Team
die mitochondriale DNS, die in der weiblichen Abstammungslinie weitergegeben
wird. Dabei verglichen sie Proben aus archäologischen Resten der Phönizier mit
denen heutiger Inselbewohner. Im Rahmen der Studie wurden die kompletten Daten
des Genoms, das die Herkunft beider Elternteile darstellt, eines phönizischen
Individuums entschlüsselt.
Sieben Jahrhunderte auf der Insel
Nach ihrer Ankunft aus Cádiz siedelten sich die
Phönizier das erste Mal etwa im Jahr 654 v.Chr. für etwa sieben Jahrhunderte
auf der strategisch günstig gelegenen Insel Ibiza an.
Die Gräber und andere auf der Nekropolis des Puig
des Molins gemachten archäologische Funde lassen vermuten, dass es zu einer zweiten
Siedlungswelle aus Karthago und anderen punischen Gebieten des Mittelmeerraums
kam, die mit einer Zeit großen Wohlstands und großer Entwicklungen auf der
Insel um 5 v. Chr. zusammenfällt.
Nach dem Zweiten Punischen Krieg begann für Ibiza
ein langer Prozess der Integrierung ins Römische Reich, gefolgt von der
muslimischen Eroberung, etwa um 900 n.Chr. Ab 1235 siedelten sich zudem immer
mehr Menschen von der iberischen Halbinsel und aus Südeuropa auf der Insel an.
Basierend auf den DNS-Ergebnissen zeigt sich eine
klare genetische Differenz zwischen dem Erbgut der ersten phönizischen Siedler
und der heutigen Bewohner. „Die ungewöhnliche genetische Signatur, die bei
modernen Ibizenkos identifiziert wurde, scheint nicht das Ergebnis ihrer
Abstammung von den Phöniziern zu sein, zumindest nicht in der weiblichen
Linie“, erklärt Matisoo-Smith.
Das Zusammentreffen unterschiedlicher Volksstämme
durch Invasionen und andere Völkerbewegungen, kombiniert mit Phasen
unbeständiger Bevölkerungszahlen nach der frühen Ansiedlung der Phönizier
scheint zu einem Wandel der genetischen Zusammensetzung geführt zu haben.
„Es ist faszinierend zu sehen, dass die
früheren weiblichen Abstammungslinien mit der Zeit ersetzt wurden. Heutzutage
scheinen die genetischen Linien bei den eingesessenen Ibizenkos eher eng mit
den modernen Franzosen in Beziehung zu stehen, was auf eine katalanische
Verbindung hinweisen könnte“, fügt Professor Zalloua an.
Aufgrund der nicht nachweisbaren Kontinuität in
den mitochondrialen Genomen ergeben die früheren Analysen des Y-Chromosoms,
dass dennoch eine phönizische Linie in der modernen ibizenkischen Bevölkerung
Ibizas existiert.
Die kompletten Daten des analysierten Genoms des
Phöniziers aus Ibiza stammen von einem Individuum, dessen weibliche Abstammungslinie
aus Europa kommt, jedoch einen wichtigen Bestandteil des östlichen Mittelmeers
in seiner genetischen Herkunft aufweist, was auf eine gemischte phönizische
Bevölkerung auf Ibiza während des 3. Jrd.v.Chr. hindeutet. Dieses Ergebnis
steht im Einklang mit den archäologischen Beweisen und zeigt auf, dass
Diversität und Integration charakteristisch für die phönizische Gesellschaft
waren.
Heute scheint klar, dass die genetische Struktur
der modernen Ibizenkos nicht, wie bisher geglaubt, von ihrer Abstammung von den
Phöniziern herrührt. Um dies final beweisen zu können, werden jedoch noch mehr
Daten von Genomen benötigt, “um zu verstehen, warum und wie sich die genetische
Zusammensetzung der ibizenkischen Bevölkerung mit der Zeit verändert hat.”
So können auch Krankheiten oder soziale Auswirkungen wie Krieg oder Hunger eine wichtige Rolle bei der Gestaltung der genetischen Zusammenstellung spielen.
Text: jak / Fotos: red
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