Lost Places auf Ibiza: Ruine des ehemaligen Geländes des “Festival Club” – Im Wald bei Sant Josep: Bericht über die Begegnung mit einem Mythos
Im Wald bei Sant Josep: Bericht über die Begegnung mit einem Mythos
Tony Domin berichtet von seiner zufälligen Entdeckung eines geheimnisvollen Ortes im Süden der Insel, der nur Wenigen bekannt ist und wo der Geist der Vergangenheit besonders eindrücklich zu spüren ist.
“Mein eigentlicher Beruf setzt voraus, in jeder Lage Ruhe zu bewahren. Selbst in unbequemsten Situationen ist dies ein absolutes Muss. Bislang ist mir dies immer gelungen, aber es gibt Momente, die sind so unglaublich anders, dass wir Gefahr laufen, die Kontrolle zu verlieren.
So geschah es mir an einem schönen Sommertag beim Joggen auf Ibiza. Mein diesjähriger Aufenthalt verschlug mich in die Gegend von Sant Josep. Da mein Koffer erst zwei Tage später ankam, konnte ich es kaum erwarten, endlich in mein Sportdress zu schlüpfen und mit dem Lauftraining zu beginnen. Es war etwa 19.15 Uhr und ich lief wie immer auf gut Glück schnurstracks hinein in die Natur. Schon nach zehn Minuten verdammte ich mich, da der gewählte Weg nur bergauf führte. Der Schweiß rann unaufhörlich, doch nach jeder Biegung folgte nur die nächste Steigung. Die letzten Häuser verschwanden und ich befand mich endlich in fast unbebauter Natur.
Ein wenig verwundert, entdeckte ich nach einiger Zeit auf der rechten Seite neben der geteerten Straße ein großes, eingezäuntes Areal. Dort standen und lagen viele ungewöhnliche Dinge herum. Ich vermutete, dass es Disneyfiguren von einem Karussell waren. Vielleicht waren es auch andere Figuren. Außerdem bemerkte ich eine scheinbar ungeordnete Ansammlung von Dingen, die keiner mehr haben wollte: alte und kaputte Autos, Bauwagen und ähnliches. Ja, es machte sogar den Eindruck, als würde dort eine Art Rennstrecke existieren. Sonderbar! Es war jedoch kein Mensch zu sehen. Vielleicht ein privater Spielplatz für Mad Max-Fans?
Es passte hinten und vorne nicht, und vor allem auch nicht die gut geteerte Straße, die immer weiter zu führen schien. Ich schmunzelte und lief an dem Gesehenen vorbei. Ich ahnte ja nicht, dass mir nach wenigen Minuten eine Begegnung einer ganz besonderen Art bevorstand, die mich nicht mehr loslassen sollte.
Ich war schon im Begriff, wieder umzukehren, als ich auf der linken Seite eine recht gut erhaltene Mauer sah, die über und über mit Graffiti besprüht war. Mein erster Gedanke war, wer macht sich die Mühe, sich hier in dieser erkennbaren Abgeschiedenheit zu verewigen? Dann kam mir der zweite Gedanke: Welche Bedeutung hat überhaupt diese Mauer? Es muss die Neugier gewesen sein, die mich einige Schritte weitergehen ließ. Ohne dass ich es wollte, wurden meine Schritte auf einmal langsamer. Ich fühlte mich wie benommen – nicht etwa von den Anstrengungen, sondern von dem, was da auf einmal vor mir stand.
Ein Eingang! Ein Eingang in einen Dschungel?
Das Tor erinnerte mich an Science Fiction-Filme, auf merkwürdige Art und Weise auch an einen Triumphbogen. Ich hatte keine Erklärung, weder für die Mauer noch für diesen Eingang. Auch hier war alles mit Graffiti besprüht, was mir unerklärlich erschien.
Wie von Geisterhand geführt, ging es ohne eigenen Willen weiter, und zwar in Richtung des Eingangs. Er zog mich sprichwörtlich magisch an. Ich war mir in diesem Moment absolut nicht darüber bewusst, dass ich gerade dabei war, ein verwunschenes Niemandsland zu betreten.
Meine Augen huschten in jede Richtung, als ich es hineinging. Alles schien mit Graffiti besprüht und meine Fantasie spielte mir fortwährend Streiche.
Wo befand ich mich eigentlich? Ist das ein Privatgelände? Mein Kopf sagte laut “nein”. Eine alte Fabrik kann das auch nicht sein. Ich ging langsam weiter. Alles war so sonderbar und völlig anders als alles andere, was ich jemals vorher gesehen hatte. Vielleicht ein altes Hotel? Ich war bereits einige Meter tief in das Gelände eingedrungen und spürte förmlich seine Ausdehnung, ohne es überhaupt ganz gesehen zu haben. Nein, ein Hotel kann es auch nicht gewesen sein, denn dazu fehlten bauliche Hinweise. Das einzige, was ich bis zu diesem Zeitpunkt genau sagen konnte, war die Tatsache, dass es mich gepackt hatte. Mein Traum war es immer gewesen, Archäologe zu werden. Sicher, dieser Fund hatte nichts mit Archäologie zu tun, denn dafür waren die Bauten zu modern.
Eine Tempelanlage ähnlich der von Angkor Wat in Kambodscha schied auch aus. Ich ging weiter in eine mir völlig unbekannte Welt. Wie groß diese war, konnte ich nach wie vor nur erahnen. Erst später erhielt ich Antworten auf viele Fragen und auch auf die Frage der Größe.
Die Sonne schien noch recht hell und so wagte ich mich immer tiefer in diese fremde Welt im Wald. Es war wie im Traum. Außer mir war kein Mensch an diesem Ort. Ich beschritt zusammengefallene Gebäudekomplexe, durchschritt hallenartige Räume, stieg auf brüchige Treppen hinauf und versuchte, immer höher zu gelangen, um mehr sehen zu können.
Endlich oben angekommen, hatte ich einen guten Einblick auf das Gelände. Ich schaute bedächtig von links nach rechts und wieder zurück. Langsam erfasste ich die Dimension des Geländes, auch wenn vieles überwuchert war. Eingebettet in einem Tal war hier etwas errichtet worden, das aussah, als wäre es aus antiker Zeit. Ich sah nun auch eine Arena und rechts davon im Freien eine Art Bühne. Warum auch immer, es zog mich förmlich zu dieser hin. Ich ging viele Stufen hinunter. Da meine Augen alles aufnahmen, was ich sah und nun die Stufen besser einsehen konnte, erkannte ich Sitzreihen mit separaten Einlässen. Hier waren eindeutig Sitzbänke zu sehen, die es wohl ermöglichten, Menschen etwas mehr Individualität zu verleihen – vielleicht für die ersten VIPs auf Ibiza?
Als ich von der Bühne aus meinen Blick nach oben richtete, dämmerte es mir langsam. Es war der Nachbau eines antiken Theaters. Also musste das Tor tatsächlich der Eingangsbereich gewesen sein. Von dort wurde man bewusst in den oberen Bereich geführt, damit man von hier aus diesen unglaublichen Blick in die Tiefe provozierte. Welch imposanter und grandioser Anblick muss es einst gewesen sein! Meine Fantasie wurde mehr als strapaziert, als ich mir die Mengen an Zuschauern vorstellte.
Doch bei all dieser Herrlichkeit und all meiner brennenden Neugier konnte ich den Zweck des Baus noch nicht nachvollziehen. Wie passte diese riesengroße Anlage in diese Abgeschiedenheit? Sicher war der Platz, wie schon bei antiken Erbauern, bevorzugt in einen Berghang hineingebaut worden. Aber nebenan gleich eine Arena? Sie sah aus wie eine etwas verkleinerte Stierkampfarena. Aber kann es sein, dass hier gleichzeitig Opern und Stierkämpfe dargeboten wurden?
Ich konnte mir wahrlich keinen Reim darauf machen, da nichts zusammenpasste. Obwohl ich nicht gehen wollte, packte mich erneut das Fieber. Nun wollte ich schnellstens zurück, um mit meinem Notebook zu recherchieren. Ich lief die Strecke zurück zu meiner Unterkunft in flottem Tempo – und nicht nur deswegen, weil es nun bergab ging.
Zuhause angekommen sprang ich nicht einmal unter die Dusche und blieb bis 3.00 Uhr auf, um nach Informationen zu allem zu suchen, was mit dieser Anlage zu tun hatte. So ging es noch ein paar Tage weiter.
Nach fast sieben Stunden hatte ich förmlich alles aufgesogen, was ich bekommen konnte, aber das Ergebnis fiel kärglicher aus als erhofft. Nur wenige meiner Fragen ließen sich beantworten.
Im Internet existieren einige Bilder der Ruinen, aber Originale von damals, bis auf weniger als eine Handvoll Aufnahmen: Fehlanzeige! Informative Texte, Hinweise, Plakate oder Zeitzeugenberichte? Ebenso Fehlanzeige. Ich denke, recht bewandert im Umgang mit Google zu sein, aber meine Mühen der Recherche reduzierten sich auf ein paar spärliche Informationen.
Investoren begannen 1969 mit dem Bau der Anlage. Die Zufahrtsstraße wurde errichtet und nach drei Jahren Bauzeit wurde die Anlage unter dem Namen “Festival Club” eröffnet. Der Name steht noch heute gut sichtbar am Hauptgebäude. Jedoch schon nach zwei Jahren endete der Betrieb im Jahr 1974. Was war geschehen?
Die Antwort ist weniger spektakulär als diese unglaubliche Anlage selbst: Es war die Ölkrise, wodurch weniger Touristen auf die Insel kamen. Sie sorgte dafür, dass die Anlage später trotz aller Mühen und Maßnahmen nicht wieder zum Leben erweckt werden konnte.
Mutmaßlich konnten tausende Menschen den Festivitäten beiwohnen. Es gab mehrere Bars, Restaurants und vieles mehr. Die Bühne ermöglichte Liveauftritte von Bands und Flamenco-Tänzern. Angeblich wurden tatsächlich Stierkämpfe dargeboten, und so war das Gemisch aus Entertainment, Action, Tanz und Genuss ein neuartiges Animationsprogramm im Diskozeitalter der Siebziger. Das bescheidene Pacha eröffnete im Jahr 1973 in einer kleinen Finca und wirkte gegenüber dem Festival Club eher wie ein Zwerg.
Die Behauptung, Bob Marley höchstpersönlich habe Gastspiele auf dem Festival Club-Gelände gegeben, ist Mythos, denn er kam erst 1978 auf die Insel.”
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Text: Tony Domin / Fotos: Patrice Grad
Copyright: Ibiza Kurier – Die deutsche Zeitung für Ibiza und Formentera
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