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Wenn der Stich der Biene sprichwörtlich unter die Haut geht

Apitherapie auf Ibiza: Das Gift aus dem Stachel dient der Gesundheit

Beim Wort “Apitherapie” oder “Bienentherapie” (spanisch “apiterapia”) denkt man meist zuerst an die Verwendung von Bienengift, auch Apitoxin genannt. 

Seine Patienten von Bienen stechen zu lassen, ist sicher auch der wichtigste Teil im Arbeitsalltag eines Apitherapeuten. Die Verwendung anderer Bienenprodukte gehört streng genommen aber auch dazu.
Ein Experte, der Apitherapie auf Ibiza praktiziert, ist Addali Galván Romero, der trotz des arabischen Vornamens ursprünglich aus Mexiko stammt. Er ist aus ganzer Seele Imker und hat seine Bienenstöcke in der Nähe von Jesús.
Seit neun Jahren ist er praktizierender Apitherapeut und hat seine Techniken im Laufe der Jahre verfeinert. Sein Behandlungszimmer ist in Ibiza-Stadt, mit Ausblick aufs Meer. Er arbeitet unter Einbeziehung von Massagen und Reiki. Dass die Wirksamkeit von Reiki wissenschaftlich nicht erwiesen ist, ist für Massagen und Apitherapie zum Glück nicht relevant.
Die Anwendung des Bienengifts kombiniert Addali mit einer ausgiebigen Massage. Diese vereint verschiedene Massageformen und sei, wie er sagt, holistisch. Während das Wort “holistisch” auf Ibiza oftmals inflationär verwendet wird und bisweilen fast als Synonym für “wenig professionell” wirkt, ist seine Herangehensweise sehr fundiert.

So verwendet er für die Massage eine Mischung aus dem Wachs seiner Bienen, Olivenöl und ätherischen Ölen, zum Beispiel des Rosmarins. Man sollte sich bei dem sanft und freundlich wirkenden Mann allerdings nicht auf eine sanfte Massage – etwa vergleichbar mit Shiatsu – einstellen. Nein, Addali ist keineswegs zimperlich, er packt kraftvoll zu.
Im Laufe der Massage setzt er lebende Bienen auf die Haut, die den Patienten stechen. Dazu hat er in seinem Behandlungszimmer einen Behälter mit einigen Bienen vorbereitet, dessen Deckel Luftlöcher aufweist. Die Punkte wählt er gemäß den Lehren der Akupunktur. Dazu muss er über die Meridiane der traditionellen chinesischen Medizin gut Bescheid wissen. Aber auch über Anatomie ist er gut informiert. Bei der Massage kann er spüren, wo Verspannungen sind und wo er folglich sinnvollerweise die Bienen ansetzt.
Vor 100 Jahren war die Apitherapie in Spanien noch als normale Behandlungsmethode bekannt. Durch die Machtzunahme der pharmazeutischen Konzerne hat sie sehr an Bedeutung verloren.
Allgemein ist bekannt, dass eine Honigbiene nach dem Stechen eines Menschen (oder eines anderen Warmblüters) stirbt. Da manche Zeitgenossen glauben, es sei grausam, Bienen für Apitherapie sterben zu lassen, ist es selbstverständlich, dass Addali hierauf eine Antwort parat haben muss.

Er vertritt die unter Imkern übliche Sichtweise, dass das Bienenvolk der eigentliche Organismus ist, nicht die einzelne Biene. Eine Arbeitsbiene, die sich nicht fortpflanzen kann, sondern für ihr Volk lebt, gibt problemlos ihr Leben für dieses Volk hin. Warum also nicht auch zu Therapiezwecken? 

Auch sollten wir nicht vergessen, dass jeden Tag Massen von Bienen und anderen – oftmals weniger sympathieträchtigen – Insekten durch Pestizide, insbesondere Neonikotinoide, sterben. So hat jede Person, die pestizidbehandelte Orangen kauft, wesentlich mehr Bienen auf dem Gewissen als ein Apitherapeut. 

So wirkt es eher scheinheilig, ausgerechnet die Apitherapeuten zu beschimpfen, die ja im Gegenteil sogar ihren Teil dazu beitragen, dass es mehr Honigbienen gibt, insbesondere wenn sie, wie Addali, gleichzeitig Imker sind.
Eine Biene trägt etwa 0,3 Gramm Gift in sich. Zu den Inhaltsstoffen gehören Melittin, Apamin, Hyaluronidase, Phospholipase A und diverse Enzyme. Das Gemisch wirkt gefäßerweiternd. Melittin reduziert die Gerinnungsfähigkeit des Blutes und ist in kleinen Mengen entzündungshemmend, in größeren Mengen aber entzündungsfördernd.

Man verwendet Apitoxin, um das Fortschreiten von multipler Sklerose, Parkinson und Alzheimer zu hemmen. In äußerlicher Anwendung, etwa in Salben, wird das Gift der Bienen bisweilen gegen Falten eingesetzt. Die Verwendung von Bienenstichen auf den Akupunkturpunkten ist keine Erfindung von Addali, sondern hat in China seit Jahrhunderten Tradition.
Beim Schreiber dieser Zeilen wurde ein so genannter Tennisarm mit Bienenstichen behandelt. Ob der Heilerfolg dem Apitoxin zu verdanken ist oder ob die Zeit das Leiden heilte, ist mangels Vergleichsuntersuchung nicht zu entscheiden. Um bei einem spezifischen Leiden die Wirksamkeit wissenschaftlich zu beweisen, muss man Doppelblindversuche mit einer signifikanten Anzahl von Patienten machen. 

Für den Patienten ist zweifellos irrelevant, ob die Heilung auf einer Wirksamkeit der Therapie oder auf Placebowirkung beruht. Für den Therapeuten kann es aber wichtig sein, um die Übertragbarkeit eines Heilerfolges auf andere Patienten einzuschätzen.
Ähnlich wie Heilpflanzen hat auch Bienengift Gegenanzeigen. Wer unter Diabetes, Anämie, Herzinsuffizienz, Nierenproblemen oder Blutungsneigung leidet, sollte mit der Anwendung von Apitoxin vorsichtig sein. Es versteht sich von selbst, dass Personen mit einer Allergie gegen Bienengift (speziell gegen Hyaluronidase und Phospholipase A) diese Therapie komplett meiden müssen.
Ein Teil des Apitoxins fließt in den ersten Sekunden nach dem Stich. Dann zieht Addali den Stachel schnell heraus, denn der nachfolgende Teil des Giftes hat eine andere Zusammensetzung. Gelegentlich verwendet er auch diesen. Dann setzt er den zuvor herausgezogenen Stachel mit Hilfe einer Pinzette nochmals an und nutzt ihn für bis zu acht Stiche, immer bei ein und derselben Person. Natürlich geht so ein Stich nicht ganz ohne Schmerz vonstatten, aber es ist ein erträglicher Schmerz. Und wer sich für eine Apitherapie entscheidet, geht ohnehin davon aus, dass der vorübergehende Schmerz weniger schlimm ist als das zu behandelnde Leiden.
Für die übrigen Bienenprodukte kann der Imker und Apitherapeut Empfehlungen zu Therapiezwecken geben. Zum Beispiel rät er zur Förderung der Verdauung zu ein wenig Honig vor den Mahlzeiten. Propolis empfiehlt er wegen seiner antibiotischen Wirkung.
Auch für Blütenpollen – zwar im strengen Sinne kein Bienenprodukt, für uns Menschen aber nur durch die emsige Sammeltätigkeit der Bienen zugänglich – hat er Anwendungsempfehlungen, natürlich auch für Gelée royale.
Diese Produkte bietet Addali zum Verkauf an, selbstverständlich von seinen eigenen Bienen. Nur das Apitoxin gibt es nicht zu kaufen, man muss es sich von ihm ansetzen lassen. 

Eben in Form einer Biene, womit man mit der Quelle aller genannten Produkte nicht nur hautnah in Berührung kommt, sondern der Kontakt mit dem Insekt im wahrsten Sinne des Wortes unter die Haut geht.