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Erwin Broners 50. Todestag: Zum Sterben zurück in die bayrische Heimat…

Doina Weber erzählt von ihren Ibiza-Begegnungen mit dem Bauhaus-Architekten

Die heute in Berlin lebende deutsch-österreichische Schauspielerin Doina Weber erlaubt uns einen Blick zurück in das Ibiza der späten 60-er Jahre.

Sie berichtet von ihren Begegnungen und Erinnerungen mit dem Architekten Erwin Broner (geb. am 16. November 1898), der auf der Insel seine Spuren hinterlassen hat und dem in Ibiza-Stadt ein Museum als Gedenkstätte gewidmet ist. 

Anlässlich seines 50. Todestages schreibt sie exklusiv für den IBIZA KURIER. Sie liefert interessante Daten aus der Sicht eines unbeteiligten Dritten, die eigentlichen Anekdoten und ihren persönlichen Eindruck von Broner erzählt sie jedoch in der Ich-Form. 

Im Herbst 2021 jährte sich Erwin Broners Todestag zum 50. Mal. Der berühmte, für Ibizas moderne Baukultur prägende und revolutionierende Architekt, der als erster erkannte, wie organisch sich der traditionelle Ibicenco-Hausbau mit deutschen Bauhaus-Prinzipien verbinden ließ, kam auf der Flucht vor den Nazis über die Schweiz schon in den 1930-er Jahren nach Ibiza. Er verlor sein Herz sofort an die Insel, ließ sich aber aus existenziellen Gründen zunächst in den USA nieder, wo er sowohl als Architekt als auch beim Film arbeitete, bevor er Ende der 50-er Jahre auf die Baleareninsel zurückkehrte und dort mit seiner zweiten Frau Gisela in Ibiza-Stadt ansässig wurde. 

Den deutschen Bildhauer Jürgen Weber lernte Broner Ende der 60-er Jahre während eines Urlaubs auf Ibiza über einen gemeinsamen Malerfreund kennen. Beeindruckt von seinen unverwechselbaren Bauten bat ihn Weber, umgehend ein Ferienhaus für ihn und seine Familie im Norden Ibizas zu entwerfen. Aus dieser Auftragsarbeit entwickelte sich schnell eine intensive Künstlerfreundschaft. Keiner ahnte jedoch, dass dieses Haus Broners letzte fertiggestellte Arbeit werden sollte. 

“Es war das einzige Mal, dass ich diesen ruhigen, besonderen Mann mit den eindrucksvollen, nahezu indigen wirkenden Gesichtszügen, der bislang immer voll freundlicher innerer Gelassenheit zu leuchten schien, ungehalten und sehr dezidiert erlebte. 

Er stand breitbeinig auf dem Flachdach des Rohbaus unseres im Werden begriffenen Hauses, den legendären Zigarettenstummel der pechschwarzen Ducados im Mundwinkel, und wiederholte in knappen, entschiedenen Sätzen seine Anweisungen an Bauleitung und Arbeiter. Er verstünde überhaupt nicht, wie sie auf die Idee kommen könnten, ihm diesen unfassbar kunsthandwerklichen Kitsch als ernsthaften Vorschlag anzubieten, während er auf ein amorph pilzähnliches, nach oben abgerundet gemauertes Gebilde vor ihm zeigt. Seinen Plänen sei doch glasklar zu entnehmen gewesen, wie Kamin und Schornstein auszusehen haben. Ja, sie hätten richtig gehört, dieser ästhetisch untragbare Schlot müsse sofort abgerissen werden – und er selbst, Broner, bliebe dort oben stehen, bis in seinem Beisein alles eingeebnet und der richtige Grundriss mit rechten Winkeln wieder angelegt wäre.

Meine Eltern standen gespannt dabei und meine Mutter schwenkte die schnurrende Super-8-Kamera über die Szene der Diskutierenden, während sie den spanischen Dialog für ihren Mann auf deutsch übersetzte.

Wenn Broner – meist in Begleitung seiner hoch attraktiven, ihn um Kopflänge überragenden blonden Frau Gisela – zu uns kam, war ich immer in heller Aufregung. Ich kannte niemanden aus dieser Großväter-Generation, der eine ähnlich faszinierende Ausstrahlung und grundlegende gelassene Heiterkeit hatte. 

Während unser Ferienhaus ab 1969 geplant und dann 1971 in Rekordzeit zwischen Februar und Juli erbaut wurde (man bedenke: vor 50 Jahren an einem abgelegen Ort, auf einem Berg an einer Staubstraße, die teilweise erst noch durch den ansteigenden Pinienwald und Felsen planiert werden musste, ohne Strom, fließend Wasser und heutige technische Hilfsmittel) gab es viele Gelegenheiten für Besprechungen mit den Bauherren, meinen Eltern. 

Diese Treffen wurden mit Vorliebe an die nur eine knappe Viertelstunde zu Fuß vom Baugrundstück entfernte verschwiegene Fischerbucht zum gemeinsamen Schwimmen und Sonnenbaden verlegt. Dann sah man den kleinen Mann in Badehose, mit seiner trotz fortgeschrittenem Alter sportlichen Figur und überraschend breiten Schultern. Broner sprach ruhig und dennoch begeistert, zeichnete mit den Fingern in den Sand und genoss den gedanklichen und künstlerischen Austausch mit meinem Bildhauer-Vater. Er sprach über seine Bauhaus-Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte und die Flucht vor den Nazis aus Deutschland in die Schweiz, und über das Ibiza der 30-er Jahre schließlich in die USA. 

Über das “Nie wieder!“ der politisch schweren Zeiten war er sich mit meinem Vater sehr nah, der – obwohl eine Generation jünger – durch das Aufwachsen in einer strikt antinazistischen Familie und das Erlebnis, als Jugendlicher kurz vor Kriegsende noch eingezogen worden zu sein, ähnliche Traumatisierungen erfahren hatte. Außerdem hatten beide Künstler, wie sich herausstellte, zeitlich unabhängig voneinander in Stuttgart studiert. 

Eine der ersten Geschichten, die Broner über sich erzählte, war die, dass er als deutscher Jude ursprünglich “Heilbronner“ hieß und ab dem Moment seiner Ausreise aus Deutschland die seit Hitlers Machtübernahme verhasste Silbe “Heil“ aus seinem Nachnamen strich. Das war genau die Mischung aus Courage und Humor, die meinem Vater imponierte. Er liebte es, diese Anekdote unter dröhnendem Gelächter zuhause seinen deutschen Gästen aufzutischen.

Mehrmals wurden wir auch von den Broners ins Fischerviertel Sa Penya eingeladen, in eben jenes historische, von ihm nach Bauhaus-Prinzipien umgebaute Stadthaus, das heutzutage als Broner-Museum öffentlich zugänglich ist.

Er führte mich als 14-jähriges Mädchen geduldig durch die verschiedenen Wohnebenen, die auf engstem, aber wunderbar durchkalkuliertem und doch lichtdurchströmtem Raum Schlafen, Essen und Arbeiten teilten. Die wie Bilderrahmen konzipierten Fensterdurchbrüche eröffneten den Blick aufs Meer und in die Innenhöfe. In seinem Atelier demonstrierte er mir seine präzise entworfenen Schränke mit unzähligen kleinen Fächern, die beim Ausklappen und Aufschwingen seine Zeichenmaterialien und Werkzeuge freigaben. 

Einmal trafen wir dort im untersten Stockwerk ein verträumtes Hippie-Pärchen an, das er und Gisela irgendwo auf der Straße kennengelernt hatten. Weil die jungen Leute nicht wussten, wo sie schlafen konnten, überließ er ihnen für geraume Zeit sein Studio, wo sie häufig in inniger Umarmung saßen, sich Märchen erzählten und von Gisela bekochen ließen. Ich staunte über so viel Toleranz und generöse Gastfreundschaft.

Broner war sofort mit der Idee meines Vaters einverstanden, trotz exquisiter strenger Ästhetik unser Haus mit nicht mehr zivilisatorischen Errungenschaften auszustatten, als die damalige Landbevölkerung der Insel zur Verfügung hatte. Das bedeutete: keine Elektrifizierung, sondern Gaslicht, Kerzen und Petroleumlampen, Kühlschrank und Herd mit Butangasflaschen betrieben. Die Wasserversorgung bestand aus Regenwasser aus der traditionell gebauten Zisterne. Ein offener Kamin als einzige Möglichkeit zur notdürftigen Heizung. Damals gab es zwar noch keine modischen Gedanken an Entschleunigung und Ressourcen-Schonung, aber meine Eltern ahnten, dass diese Lebensform zu einer anderen Art der Erholung und Verbundenheit mit Natur, Land und Leuten führen würde – und genau so wird das Haus bis heute genutzt. 

Als wir im Sommer 1971 unser Ferienhaus zum ersten Mal bezogen, besuchte uns eine befreundete italienische Familie, die wunderschöne Schwarz-Weiss-Fotos dieser ersten Tage und Wochen schoss, im Haus mit noch ungebeizten frischen Fensterrahmen und Türen aus duftendem Pinienholz. 

Eine Tages vertraute Broner meinen Eltern an, dass er mit dem Gedanken spiele, zum ersten Mal seit seiner Flucht vor dem 3. Reich an seinen Geburtsort in die Nähe von München zurückzukehren. 

Er wollte Gisela seine Heimat zeigen. Ob es darüber hinaus noch einen anderen, äußeren Anlass für diese Reise gab, erinnere ich mich nicht mehr, wohl aber, wie schwer ihm die Entscheidung fiel. 

Er fragte besorgt nach der derzeitigen politischen Entwicklung in Deutschland, nach etwaigem Antisemitismus und noch existierendem faschistischen Gedankengut – und ob es geschehen könnte, dass er diesen Besuch bereuen würde. 

Meine Eltern redeten ihm gut zu und luden ihn ein, uns während seines Deutschland-Aufenthalts in ihrem Haus in Niedersachsen zu besuchen. 

Eines späten Abends zum Jahresende kam meine Mutter mit geröteten Augen in mein Zimmer und berichtete, dass sie mit Gisela telefoniert habe. Erwin sei soeben überraschend verstorben. Kurz nach seiner Ankunft in München erwischte Broner ein schwerer Atemwegsinfekt. Er kam in eine Klinik, wo eine gravierende Lungenkrankheit diagnostiziert wurde, der er wenige Wochen später erlag. 

Es war uns, als wäre er nur in seine alte Heimat zurückgekehrt, um dort zu sterben. Obwohl ich ihn nur von 1969 bis 1971 gekannt hatte, war ich schockiert und tieftraurig und vermisste ihn wie einen nahen Verwandten.”

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Text: Doina Weber / Fotos: privat/Wikimedia/Consell
Copyright: Ibiza Kurier – Die deutsche Zeitung für Ibiza und Formentera 

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