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Ein Plädoyer für Papier: Feine, europäische Lebensart

Achtung, Satire! Unser IK-Kolumnist Peter Urbansky überschreitet die Lesedauer

Endlich wieder am Kiosk! Sie glauben ja nicht, was es mir bedeutet, Sie hier von der aufgeblätterten Zeitungsseite direkt und in Papierform wieder begrüßen zu dürfen!

Natürlich möchte ich den vielen Empfängern des IK-ePapers nicht zu nahe treten. Sie sind mir ebenso willkommen! Aber mal ehrlich: „ePaper“? Ist das nicht ein Widerspruch in sich selbst? Oder nicht sogar eine kleine Lüge wie „Feinstaub-Rußfilter“? Bei dem ist immerhin noch genug Ruß und Staub drin. Beim ePaper gibt es vielleicht etwas „e“, aber überhaupt kein „Paper“. Da sind nur ein paar Bits und Bytes unter Millionen anderen. Irgendwie synthetisch, virtuell, unwirklich, unstofflich, unallesmögliche…

Eine echte Zeitung ist noch was Handfestes! Ich sehe immer Al Bundy vor mir mit der Zeitung unter dem Arm in Richtung Klo gehend. Da geht’s um was! Da hat man was in der Hand, das auch nach dem Lesen noch zu gebrauchen ist. Stellen Sie sich die Szene mit einem Tablet vor! Einfach entwürdigend. 

Schon der Kaufakt des IBIZA KURIER (meinetwegen auch jeder anderen Gazette) stellt ein Stück feiner, europäischer Lebensart dar. Man betritt das Lokal, lässt die Presseerzeugnisse kritisch-knisternd durch die Finger wandern, macht ein paar abfällige Bemerkungen hier, ein paar anerkennende dort, trifft die Wahl, lässt die Münzen graziös über die Ladentheke rollen und verabschiedet sich mit einigen verbindlichen Worten. 

Der einherschreitende Herr mit der Zeitung unter dem Arm war fast 400 Jahre lang Beleg kultivierter Lebensart in Europa. Übrigens auch die Dame (immer mit Hut und Handschuhen!), in deren lackierter Handtasche das Pariser Modemagazin klemmt. Naja, ich weiß, die Position „Herr“ haben die meisten meiner Artgenossen zwangsweise oder gar kampflos geräumt. Aber ich weiß von allein zwei Damen hier auf Ibiza, die dieses Brauchtum klassen- und geschlechtsbewusst (Hut und Handschuhe inklusive) weiterpflegen.

Ich verstehe nicht, wie jemand lange, zusammenhängende Texte auf einem Bildschirm ertragen kann. Offensichtlich kann das kaum jemand: Die meisten großen Online-Zeitungen warnen ihre Leser über jedem Artikel mit dem Hinweis: „Lesezeit x Minuten“. Worauf deutet dieses Indiz? Auf die Bildschirmuntauglichkeit von Texten? Auf die bildungspolitisch bedingt geschrumpfte Lesefähigkeit über zwei Minuten hinaus? Auf eine neue Art der Klassengesellschaft (in keiner klassischen Papierausgabe findet sich diese Drohung)? Geht es hier vielleicht auch um den aufrechten Gang? Der traditionelle Zeitungsleser pflegt ihn noch, wenigstens körperlich, bis er ein gemütliches Plätzchen gefunden hat, um das Blatt zu entfalten. Das kann im Park oder im Cafe sein – oder zuhause, wo man sich hinter dem großformatigen Presseorgan vor seiner Gattin verstecken kann. 

Der digitale Pressekonsument hat scheinbar kein gemütliches Plätzchen. Primatenhaft buckelnd bewegt er sich durch Straßen und Landschaften, immer das Bildschirmchen vor Augen und hoffend, nicht überfahren zu werden. Ein bewusst zelebriertes „Zeitunglesen“ findet nicht statt. Man kann auch mit diesen Leuten kaum ein gepflegtes Gespräch über die Zeitungen hinweg führen. Weil deren „Zeitung“ alle naselang pupst oder vibriert oder piept oder blinkt. Das ist denen dann wichtiger und sie brechen mitten im Halbsatz ab, wenn sie überhaupt noch sprechen können. 

Naja, das ist nur der Eindruck, den so vorgestrige Figuren wie ich halt bekommen. Jedenfalls fühle ich mich am Zeitungsständer am Kiosk sehr wohl. Der Wind fährt freundlich raschelnd durch die Blätter, man bekommt was zu sehen und wenn’s gut läuft, kommt jemand wie Sie vorbei und nimmt mich mit.

Wenn Sie mit dem Lesen fertig sind, können Sie übrigens anschließend eine Caballa in mir einwickeln, oder was Ihnen sonst einfällt…

Peter Urbansky ist freier Autor und lebt auf Ibiza. Er schreibt exklusiv für den IBIZA KURIER und für den politischen Blog www.kaisertv.de.

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Text: Peter Urbansky / Fotos: red
Copyright: Ibiza Kurier – Die deutsche Zeitung für Ibiza und Formentera 

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